Warum will Elisa nicht?





«Wenn ich jeweils meinen dunkelroten Pass hervorhole, sind die meisten erstaunt. Ich werde dann oft überrascht gefragt: «Was, du bist nicht Schweizerin?»

Auf eine gewisse Weise ist es Trotz. Ich habe alles Schweizer Freunde, bin immer mit den gleichen Personen unterwegs, die haben alle den Schweizer Pass. Ich habe einfach nicht verstanden, was an ihnen anders ist als an mir. Ich bin ja auch hier zur Welt gekommen, in einem 300-Seelen-Dorf im Berner Oberland. Habe schon als Kind viel Brauchtum mitbekommen. Als ich in Brunnen ankam, verstand mich niemand, ich wurde wegen meinem krassen Berndeutsch ausgelacht. Später wurde ich Lehrerin, ich habe auf jeder Schulstufe gearbeitet von Kindergarten bis 3. Oberstufe, machte Jugendarbeit. Ich fand das so paradox, dass ich Schweizer Kindern Schule gebe. Ich unterrichte Schweizer Kinder in Schweizer Sprache, Schweizer Geographie, Schweizer Geschichte. Ich wage zu behaupten, dass ich mehr weiss, als viele Schweizer.

Aber ich sollte mich dann vor der Gemeinde ausziehen und erklären, warum ich es verdient habe, auch Schweizerin zu werden, wie die anderen. Und ja, das ist Trotz. Ich habe heute noch Mühe damit.

Ich bin Elisa Huser, geborene Calo. Ich wohne in Rickenbach, bin aber im Kanton Bern in Unterseen zur Welt gekommen. Ich bin gelernte Primarlehrerin und Kindergärtnerin. Im Moment mache ich eine Ausbildung zur Ayurveda-Komplementär-Therapeutin. Ich bin 40 und habe 2 Kinder.

Das Thema Einbürgerung war in unserer Familie immer wieder da. Damals, als ich noch minderjährig war, gingen diese Gespräche immer um das: Niemand von uns hatte Lust darauf, so prominent sein. Man kam im Amtsblatt. Es wurden Berichte in der Zeitung veröffentlicht. Dann hiess es «komm, diese Familie ist so engagiert, die Tochter macht dort und dort mit, der Vater ist im Schützenverein, komm, die nehmen wir». Das hat uns gestunken. Einerseits, wollten wir nicht so im Rampenlicht stehen. Ich meine, ich weiss auch nicht von jedem in Brunnen, was seine Hobbys sind und in welchem Verein er ist. Warum muss dann ganz Brunnen wissen, was wir in unserer Freizeit machen? Uns ging es um das. Wir wollten nicht mit Bild in der Zeitung sein. Das war am Anfang. Und danach hat es ja dann noch geändert: Es wurde an der Gemeindeversammlung abgestimmt. Das ist einfach erniedrigend. Das hätte uns nicht gut getan. Wir haben das nicht über uns gebracht, sich da hinzusetzen und zuzusehen, wie die Leute die Hand aufheben und sagen, «Ja wir wollen die» – oder nicht. Da fanden wir, «komm, wir lassen es, das wollen wir nicht».

Und ich habe dann wahrscheinlich ein wenig getrötzelt, als ich 18 wurde und fand: «Nein, das mache ich nicht.» Ich bin hier geboren wie alle meine Freunde. Was ist eigentlich der Unterschied zwischen dir und mir? Ich bin hier zur Schule, habe hier meine Bildung genossen, ich bin Primarlehrerin. Ich unterrichte eure Kinder in Schweizer Geschichte. Regionales Brauchtum ist mir wichtig. Ich war früher in jedem Verein, bei der Fasnacht aktiv.
Warum muss ich mich einbürgern, warum muss ich zahlen? Warum muss ich das über mich ergehen lassen? Einfach dieses Überprüfen davon, was ich mache. In welchem Verein ich bin, mit welchen Personen ich mich abgebe. Ob ich mich politisch engagiere. Wenn ja, ob das vielleicht der falsche Weg ist – vielleicht ist es jemandem ein Dorn im Auge. Vielleicht will man mir darum die Staatsbürgerschaft verweigern.

Ich finde es immer noch erniedrigend, obwohl es jetzt eine Kommission ist, die entscheidet – jetzt könnte ich es mir eher wieder überlegen. Aber damals war mir das wirklich zuwider, das wollte ich nicht. Ich weiss noch nicht, ob ich es mache. Wahrscheinlich schon irgendwann. Meine Kinder sind ja Schweizer.

Ich mache doch alles wie alle anderen auch. Also warum muss ich Bitti-Bäti machen? Ich verstehe es einfach nicht. Es wird einem ja auch nicht einfach gemacht. Ich bin zum Beispiel rumgezügelt. Man muss 5 Jahre in der gleichen Gemeinde leben, um sich einbürgern lassen zu können. Ich habe in Brunnen gewohnt, in Goldau gewohnt, in Schwyz gewohnt. Wenn ich jetzt wieder nach Brunnen umziehe, muss ich wieder 5 Jahre warten? Ich sehe es von hier, aus meiner Wohnung in Rickenbach: Dort ist Brunnen. Ein Steinwurf.

Das sind alles nicht Gründe, die es unmöglich machen, das ist mir bewusst. Aber ist eine Hürde. Die sehr wahrscheinlich sehr bewusst gewählt wurde. Ich weiss, man kann mir wahrscheinlich ganz viele logische Gründe geben, warum das alles so ist, und dass es heute ja nicht mehr so schlimm ist. Aber irgendwie…Es kommt mir vor, als müsste ich Bitte-Betteln, in diesem Land aufgenommen zu werden. Dass ich zu dieser Gruppe dazugehören darf. Man ist Aussenseiter und kommt betteln: «Ich bin doch so eine Brave, ich halte mich an alle Regeln, mache lieb mit und benehme mich – nehmt mich doch bitte auch auf.» Da sind wir wieder bei der Augenhöhe – die für mich hier nicht stimmt.»

Trennung unerwünscht?

«Ich bin mit einem Schweizer verheiratet. Da kann man sich mit einem erleichterten Verfahren einbürgern lassen. Vorausgesetzt, man ist 3 Jahre verheiratet. Ich bin seit 71/2 Jahren verheiratet. Seit 6 Monaten bin ich jedoch offiziell getrennt. Auf der Gemeinde wurde mir dann gesagt, sobald das Formular zur Trennung unterschrieben sei, verfalle die Möglichkeit der erleichterten Einbürgerung wieder. Also fange ich wieder von vorne an.»

Die Geschichte von Elisas Eltern

Als mein Vater das erste Mal in die Schweiz einreisen wollte, bat er den Zollbeamten, ein wenig sorgfältig mit seinen Sachen zu sein. Dieser schlug den Koffer zu und sagte: «Tschüss, du kannst gleich wieder gehen». Mein Vater durfte nicht einreisen, obwohl er eine Arbeitsbewilligung hatte. So ist unsere Geschichte doppelt gefärbt. Auf der einen Seite gibt es die Schweiz, in der sich meine Eltern nun nach 50 Jahren einbürgern lassen wollen. Sie finden, sie sind schon so lange da, sie wollen jetzt das Bürgerrecht. Es ging ihnen hier immer gut. Hier läuft alles gut, wenn man ehrlich geschäftet, dann läuft das. Sie schätzen die Schweiz sehr fest. Sie wollen nirgends sonst leben. Es ist ihre Wahlheimat.

Sie wollen hier bleiben, weil sie sich wohl fühlen. Und hier gibt es irgendwie zwei Geschichten. Auf der einen Seite den Trotz, wo mein Vater findet: «Ich bin schon so lange in der Schweiz, ich habe immer gearbeitet, ich zahle meine Steuern. Ich mache mit, ich habe mit meinem Restaurant 20 Arbeitsplätze geschaffen. Und trotzdem müssen andere Personen über mich bestimmen, ob ich hier bleiben darf oder nicht, ob ich ein Recht auf das Bürgerrecht habe oder nicht.»

Und dann verlangt man auch noch ziemlich viel Geld dafür. Das ist so ein wenig… Auf der einen Seite will man es wirklich, auf der anderen Seite hat man noch diese Erinnerungen, wie es war: Dass man nicht immer gerne gesehen war. Und jetzt, nach 50 Jahren, wollen es meine Eltern doch – «geschenkt bekommen wir es nicht mehr, jetzt gehen wir den offiziellen Weg und probieren es.»

Was meine Eltern auch immer davon abhielt, sich einbürgern zu lassen: Niemand von uns hatte Angst, nicht angenommen zu werden. Aber die Restnervosität bleibt trotzdem. Was vor allem meinen Vater genervt hat, was er nicht wollte: Er hat ein Restaurant, er ist in der Öffentlichkeit. Dass dann jeder, der ins Restaurant kommt so findet «Hä, ich habe dann für dich Ja gestummen» und mein Vater dann dankbar jedem gegenüber sein müsste. Das bringt einen ja auch wieder in eine komische Situation.

Irgendwo muss man es vielleicht schon sein, es geht einem ja gut hier, man ist aus einem Grund gekommen. Aber es ist einfach abwertend, nicht gleichgestellt. Es ist keine Begegnung auf Augenhöhe. Es ist so: «Ich Schweizer gebe dir Ausländer die Erlaubnis, dass du hier bleiben darfst.» Und ich glaube es ist ein wenig um das gegangen. Respekt und Begegnung auf Augenhöhe. Das fehlt.»

Elisa wohnt inzwischen wieder in Brunnen.