Was ist Capuns, Anja?





«Abgelehnt. Da geht bei mir natürlich die Hutschnur hoch. Wo ich dann sage: Mit welchem Recht lehnen die mich ab? Die kennen mich doch gar nicht. Da urteilen jetzt 7 oder 8 Nasen. Ich gehöre jetzt halt nicht dazu – also will man mich in den Kreis gar nicht reinlassen. Das hat mich enorm wütend gemacht.

Ich heisse Anja Kilian. Ich bin seit 1987 in der Schweiz und lebe seit 2010 hier in Freienbach. Davor war ich 11 Jahre in Wollerau.

Als ich in die Schweiz gekommen bin war das eine aufregende Geschichte für mich. Meine Mutter hatte einen Schweizer kennengelernt und geheiratet – das war 1985. Ich hatte hier meinen ersten Job nach der Ausbildung.

Damals war ich 18. Kurios ist: Meine Mutter war dann sofort Schweizerin. Sie hat durch die Heirat automatisch den Schweizer Pass bekommen.

Wäre ich ein halbes Jahr früher in die Schweiz gekommen, dann hätte ich als Kind meiner Mutter den Schweizer Pass automatisch bekommen. Aber da ich schon volljährig war, bekam ich ihn nicht.

Im Dezember 2010 nahm ich meinen ersten Anlauf für die Einbürgerung. Weil ich frisch von Wollerau nach Freienbach gezogen war, musste ich aber nochmals 5 Jahre warten. Ich dachte das ist eine Region – March/Höfe –, aber es wurde dann abgelehnt und ich musste 5 Jahre warten.

Den nächsten Antrag machte ich 2017. Ich ging von Pontius zu Pilatus zu den einzelnen Ämtern, habe den Staatskundetest gemacht. Da waren ganz lustige Fragen dabei. Zum Beispiel: «Wann wurde das CERN gegründet?» Ich weiss nicht, welcher Schweizer das weiss… Ich habe auch alle meine Freunde gefragt – keiner konnte es sagen.

Dann kam jener Abend, über den ich heute noch nachdenke. Jeder, dem ich das erzähle, der denkt «Das gibt’s doch gar nicht.» Ich ging da nach einem anstrengenden Tag hin. Ich hatte auch noch gelernt, mir die Gemeinderäte nochmals angeschaut.

Dann komme ich da an, habe mich extra noch in Schale geschmissen. Ich komme dahin und sitze ungefähr 7 oder 8 Leuten gegenüber. Da kommt man sich schon mal vor wie auf einer Verhörbank. Dann kamen Fragen wie: «Nennen Sie zwei Bäche in Freienbach.» Ich laufe zwar mit dem Hund immer dran vorbei und ich lese auch das Schild, aber mir bleibt sowas irgendwie nicht hängen – es ist mir nicht wichtig.

Dann gab es auch die Frage: Nennen Sie zwei Schulen in der Gemeinde. Da konnte ich keine nennen, ich habe ja keine Kinder. Dann gab es die Frage nach den Gemeinderäten. Ich konnte nur 3 statt 5 nennen. Das Gleiche mit den Bundesräten, ich hatte in dem Moment alles vergessen.

Mein Kopf war leer und ich war irgendwie da mit diesen 7 oder 8 Personen. Die peilen dich alle mit Adleraugen an. Mir kam es fast so vor, als würden sie darauf warten – «Was können wir jetzt fragen, das die nicht beantworten kann?» - so irgendwie fühlt man sich da.

Diese Frage hat mich auch nochmals irritiert: «Was ist Capuns?» Ich habe zwar schon davon gehört, aber ich habe das noch nie gegessen. Ich weiss dass es das gibt, aber ich weiss nicht, was es ist. In der Begründung haben sie dann auch geschrieben, ich sei nicht genügend integriert und wisse nicht genügend über die Sitten Bescheid. Aber was hat Capuns mit Freienbachs Sitten zu tun? Dann gab es noch den Punkt, dass ich nicht wusste, was das aktive und passive Wahlrecht ist. Alle meine Kollegen, die ich danach fragte, konnten mir auch nicht sagen, was das ist.

Sie haben mich dann abgelehnt mit der Begründung, ich sei nicht genügend integriert. Ich hätte zu wenig über die lokalen Verhältnisse gewusst. «Schlussendlich wusste die Bürgerrechtsbewerberin nicht, welche Themen an der Gemeindeversammlung behandelt werden und das 3-Säulen-Prinzip der Vorsorge konnte sie nur mit Hilfe erklären», steht in der Begründung. Dabei zahle ich seit Jahren in die Sozialversicherungen ein. Aber du sitzt da vor diesem Gremium und dein Kopf ist einfach leer. Du fragst dich dann: «Was soll diese Frage jetzt, ist das eine Fangfrage?»

Alle meine Nachbaren und Freunde haben mir gesagt, das sei völlig unverständlich. «Anja, nimm das nicht so tragisch, das ist sowieso ein Haufen, wenn du nicht zu dem dazugehörst, dann kommst du auch nicht rein», meinte jemand. Das hat für mich ein Gefühl, das ich in diesem Raum hatte, bestärkt: «Du gehörst nicht dazu und die wollen auch nicht, dass du dazugehörst.» Statt inkludiert wirst du eigentlich bewusst ausgeschlossen.Das finde ich nicht korrekt.

Das Paradoxe ist: Mein damaliger Lebensgefährte hat mir angeboten, mich zu heiraten. Das will ich aber nicht. Hätte ich es aber gemacht, dann wäre ich heute Schweizerin.»